Was versteht man unter dem Verkehrswert?
Wann wird der Verkehrswert benötigt? Welche Wertermittlungsverfahren werden beim Verkehrswert angewendet? Was beinhaltet ein Verkehrswertgutachten?
Was ist der Verkehrswert einer Immobilie?
Der Verkehrswert einer Immobilie ist jener Marktpreis, der üblicherweise im redlichen Geschäftsverkehr erzielt werden kann. Interessen einzelner Personen werden dabei nicht berücksichtigt.
Im Liegenschaftsbewertungsgesetz (LBG) in §2 (2) wird der Verkehrswert als jener Preis bezeichnet, der bei einer Veräußerung der Sache, üblicherweise im redlichen Geschäftsverkehr, für sie erzielt werden kann.
Die besondere Vorliebe und andere ideelle Wertzumessungen einzelner Personen bleiben bei der Ermittlung des Verkehrswertes außer Betracht (§ 2 Abs. 3 LBG).
Der Verkehrswert ist mit dem eher gebräuchlichen Marktwert einer Immobilie ident.
Wann wird der Verkehrswert benötigt?
Der Verkehrswert wird benötigt, wenn Immobilien (Wohnung, Haus, Gebäude oder Grundstück):
- verschenkt werden sollen oder
- bei der Aufteilung des ehelichen Vermögens (Scheidung) oder
- im Rahmen einer Erbschaft oder bei
- Verkauf durch Gemeinden und Städte oder bei
- Kauf und Verkauf im Rahmen von Sachwalterschaften oder bei
- Kauf und Verkauf durch Unternehmen oder
- für steuerliche Zwecke (Grundanteil, Bemessungsgrundlage für Absetzung für Abnutzung Gebäude) oder
- im Rahmen eines Gerichtsverfahrens.
Das Liegenschaftsbewertungsgesetz – LBG (BGBl. Nr. 150/1992) bildet die Grundlage für Bewertungen von Liegenschaften, speziell in gerichtlichen Verfahren aber auch bei öffentlichen Auftraggebern.
Welche Verfahren werden zur Ermittlung des Verkehrswertes herangezogen?
Die Wahl des Wertermittlungsverfahrens ist im § 7. LBG geregelt. Sofern das Gericht oder die Verwaltungsbehörde (§ 7 (1) LBG) nichts anderes anordnet, wählt der Sachverständige das Wertermittlungsverfahren aus.
Der Sachverständige beachtet dabei den jeweiligen Stand der Wissenschaft und die im redlichen Geschäftsverkehr bestehenden Gepflogenheiten.
Aus dem Ergebnis des gewählten Verfahrens wird der entsprechende Wert, unter Berücksichtigung der Verhältnisse im redlichen Geschäftsverkehr, ermittelt.
Werden für die Bewertung mehrere Wertermittlungsverfahren (§ 7 (2) LBG) angewendet (§ 3 Abs. 2 LBG), so wird aus deren Ergebnissen der Wert, unter Berücksichtigung der Verhältnisse im redlichen Geschäftsverkehr, ermittelt.
Für die Bewertung werden gem. § 3. (1) LBG Wertermittlungsverfahren angewendet, die dem jeweiligen Stand der Wissenschaft entsprechen.
Als solche im LGB genannte Verfahren kommen insbesondere das
- Vergleichswertverfahren (§ 4), das
- Ertragswertverfahren (§ 5) und das
- Sachwertverfahren (§ 6) in Betracht.
Wenn es zur vollständigen Berücksichtigung aller den Wert der Sache bestimmenden Umstände sind erforderlich ist (§ 3 (2) LBG), sind mehrere Wertermittlungsverfahren für die Bewertung anzuwenden.
Bei anderen wissenschaftlich anerkannten Wertermittlungsverfahren (§ 10. (4) LBG) als den in den §§ 4 bis 6 geregelten, werden die zugrunde gelegten Umstände dargestellt. Es wird weiters ausgeführt, in welcher Weise die Verhältnisse im redlichen Geschäftsverkehr bei der Bewertung berücksichtigt werden.
Darüber hinaus anerkannte und dem Stand der Wissenschaft entsprechende Wertermittlungsverfahren sind:
- Discounted-Cash-Flow-Verfahren (DCF-Verfahren – ÖNORM B 1802-2) oder
- Residualwertmethode (Bauträgerkalkulation – ÖNORM B 1802-3) oder
- Pachtwertverfahren (für Hotels etc.) oder auch andere
- International angewandte Methoden (wie z.B. Investment method).
Nach welcher Methode der Verkehrswert ermittelt wird, richtet sich nach der Charakteristik der zu bewertenden Liegenschaft. Die fachgemäße Wahl erfolgt durch den Sachverständigen (soweit nicht vom Auftraggeber vorgegeben) und wird ausreichend begründet.
Welche Bewertungsmethode zum Verkehrswert ist für welche Immobilienart geeignet?
Die Verkehrswertermittlung von unbebauten Grundstücken erfolgt mit dem Vergleichswertverfahren. Eventuell kommt es noch bei gleichartigen Eigentumswohnungen, Reihenhäuser, Doppelhäuser und gleichartigen Siedlungshäuser in Frage. Auch für die Überprüfung der Angemessenheit des Hauptmietzinses gem. Mietrechtsgesetz (MRG) wird es angewandt.
Die übliche Methode der Verkehrswertermittlung bei Ein- und Zweifamilienhäusern (häufig eigengenutzt) ist das Sachwertverfahren. Dabei wird für die Ermittlung des anteiligen Grundwertes das Vergleichswertverfahren herangezogen.
Die Verkehrswertermittlung bei Mehrwohnungshäusern sowie Büro- und Geschäftsgebäuden erfolgt in der Regel nach dem Ertragswertverfahren. Ebenso wird es bei gemischt genutzten Liegenschaften, die zur Gänze oder zum Großteil vermietet oder verpachtet sind, angewandt. Dieses Verfahren kann aber auch für Liegenschaften, die zwar eigengenutzt sind, bei denen aber eine Vermietung durchaus sinnvoll möglich wäre, verwendet werden.
Rechte und Lasten (§ 3 (2) LBG) werden bei der Bewertung entsprechend berücksichtigt, wenn sie mit der zu bewertenden Sache verbunden sind und deren Wert beeinflussen. Wenn eine Bewertung von Rechten und Lasten nach den in den §§ 2 bis 7 enthaltenen Regeln nicht möglich ist, muss der vermögenswerte Vorteil des Berechtigten beziehungsweise der vermögenswerte Nachteil des Belasteten herangezogen werden.
Ist nur ein Teil einer Liegenschaft (§ 3 (4) LBG) oder ein mit einer Liegenschaft verbundenes Recht oder eine darauf ruhende Last oder ein Teil eines Rechtes oder einer Last zu bewerten, so ist auch der Wert der ganzen Liegenschaft beziehungsweise des ganzen Rechtes oder der ganzen Last zu ermitteln, wenn dies für die Bewertung von Bedeutung ist.
Rahmenbedingungen zur Erstellung eines Verkehrswertgutachtens:
Für die Bewertung (§ 8. (1) LBG) wird ein gerichtlich beeideter Sachverständiger für das jeweilige Bewertungsfachgebiet beigezogen. Erforderlichenfalls können auch mehrere Sachverständige beigezogen werden.
Es wird der für die Bewertung maßgebliche Stichtag (§ 8 (2) LBG) festgesetzt.
Angeordnet wird (gem. § 8 (3) LBG), ob das Bewertungsgutachten schriftlich oder mündlich erstattet werden soll. Sofern sie nicht unzweckmäßig oder unzulässig ist, wird die schriftliche Gutachtenserstattung angeordnet.
Wird durch Gesetz oder Rechtsgeschäft (§ 8 (4) LBG) ein anderer Wert als der Verkehrswert als für die Bewertung der Sache maßgeblich bestimmt, so wird dem Sachverständigen die Ermittlung dieses anderen Wertes aufgetragen.
Dieser Paragraph 8 dient vor Allem Richterinnen und Richtern zur Bestellung der Sachverständigen im Verfahren. Diese Mindestanforderungen bieten aber auch allen anderen Auftraggebern eine Orientierungshilfe.
Was beinhaltet ein Verkehrswertgutachten?
Ein Verkehrswertgutachten besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen:
- Befund (= Aufnahme des Sachverhaltes) sowie
- Gutachten (= Beurteilung und Wertung) samt Anhang.
Es soll jedenfalls nachvollziehbar sowie nachprüfbar sein.
„Nachvollziehbar ist ein Gutachten, wenn ein Laie die Entwicklung der Gedanken des Sachverständigen im Gutachten verstehen und zuordnen kann. Nachprüfbar ist es, wenn ein Fachmann den Inhalt und die Ansätze bis ins Detail überprüfen kann.“ (vgl. Krammer, Schiller, Schmidt, Tanczos: Sachverständige und ihre Gutachten, Manz Verlag Wien 2012)
Einem Gutachten wird zur Nachvollziehbarkeit ein Anhang beigefügt. Darin ist eine Fotodokumentation der Befundaufnahme an Ort und Stelle sowie sämtliche der Beurteilung zu Grunde liegenden Dokumente in Kopie enthalten.
Damit erhält der Auftraggeber eine ausführliche Dokumentation der bewerteten Liegenschaft zu einem bestimmten Datum (Bewertungsstichtag).
Allgemeine Erfordernisse des Gutachtens regelt § 9. (1) LGB:
Das Bewertungsgutachten enthält jedenfalls:
- den Zweck des Gutachtens und
- den Bewertungsstichtag und
- den Tag der Besichtigung der Sache sowie
die dabei anwesenden Personen ausserdem - die verwendeten Unterlagen und
- den Befund mit einer Beschreibung der Sache nach ihren Wertbestimmungsmerkmalen und ihren sonstigen, für die Bewertung bedeutsamen Eigenschaften tatsächlicher oder rechtlicher Art und
- die Bewertung (= eigentliches Gutachten) unter Darlegung des angewendeten Wertermittlungsverfahrens und der Gründe für die Auswahl des angewendeten Verfahrens oder der allenfalls angewendeten Verfahrensverhinderung sowie schlussendlich
- den Anhang mit allen bewertungsrelevanten Fotos und Dokumenten in Kopie.
Selbstverständlich wird auch der Auftraggeber genannt. Genauso angegeben wird der Grund wofür das Gutachten verwendet werden soll.
Eine Bewertung kann niemals nur vom Schreibtisch aus durchgeführt werden. Es erfolgt immer eine Begehung der zu beurteilenden Liegenschaft durch den Bewerter. Dabei werden an Ort und Stelle die wichtigsten Grundlagen für die Beurteilung gesammelt. Mit einer entsprechenden Eigentümervollmacht wird vom Sachverständigen jedenfalls Einsicht beim Bauamt in den Bauakt der Liegenschaft genommen. Eine Recherche relevanter Dokumente in der Urkundensammlung beim Grundbuch (Bezirksgericht) ist ebenfalls Bestandteil einer fundierten Befundaufnahme.
Ein allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für das Immobilienwesen darf im Rahmen seines Zertifizierungsumfangs Verkehrswertgutachten erstatten und gemeinsam mit dem Siegel unterfertigen.